Vor 30 Jahren bündelten die drei Bezirksvereine Franken, Oberbayern und Schwaben ihr Engagement in einem gemeinsamen ADFC-Landesverband. Ziel war es, den Radfahrenden nicht nur vor Ort und regional, sondern auch auf Landesebene eine Stimme zu geben. Das war auch dringend nötig, denn Vorschläge für eine bayernweite Radverkehrsförderung wurden noch lange damit abgetan, dass Radverkehr eine lokale Aufgabe sei und damit der Freistaat nicht zuständig. Dass kommunale Selbstverwaltung und landesweite Förderung des zukunftsträchtigen Verkehrsmittels Fahrrad sich ergänzen müssen, dafür fehlte das Verständnis.
Nach zwei Landtagsanhörungen, regelmäßigen Tagungen, Kongressen und Messeauftritten, landesweiten Aktivitäten wie dem Angebot Bett+Bike oder der Aktion Mit dem Rad zur Arbeit gelang uns dennoch ein langsamer, aber spürbarer Wandel. Zunächst tauchte das Fahrrad im Autoland Bayern zumindest in Sonntagsreden auf. Dann veröffentlichte die Staatsregierung 2017 das Radverkehrsprogramm Bayern 2025 und verkündete, dass sich der Radverkehrsanteil bis 2025 landesweit auf 20 Prozent verdoppeln solle. Weil weiterhin den Kommunen überlassen blieb, WIE und mit welchen Ressourcen das zu schaffen sei, haben wir 2018 ein Rad-Gesetz für Bayern gefordert. Es stieß bei allen auf große Zustimmung – außer bei der CSU-Staatsregierung.
Und so blicken wir jetzt traurig nach Nordrhein-Westfalen: Anstelle von Bayern wird es wohl das erste Flächenland mit einem Rad-Gesetz werden. Doch wir geben natürlich nicht auf. Steter Tropfen höhlt den Stein: Es werden beispielsweise endlich die Fördermittel des Bundes für den Bau von Radwegen abgerufen und auch ein Plan wurde vorgelegt, wofür diese genutzt werden sollen. Mit Hilfe des ADFC werden wir also vielleicht doch noch irgendwann zum „Radlland Bayern“ und freuen uns zunächst über die vielen Statements zahlreicher Wegbegleiter*innen!
Bernadette Felsch und Armin Falkenhein
(im Oktober 2020)
Viel ist geschehen in den 30 Jahren des Bestehens des ADFC-Landesverbands Bayern. Einen kleinen Einblick geben die Seiten 2 bis 5 unserer Jubiläumsbroschüre. 1 1/2 Jahre lang war sie bis 7. Mai 2022 als innovative, interaktive Broschüre online verfügbar. Jetzt gibt es sie nur mehr als statisches PDF, ohne dass die darin gekennzeichneten interaktiven Elemente noch zugänglich wären. Zum Download der Broschüre als PDF.
Hier haben wir außerdem noch ein Schmankerl zum Anhören.
Nach der Gründung des ADFC 1979 in Bremen bildeten sich in ganz Deutschland lokale und regionale Gliederungen. In Bayern waren das die Bezirksvereine Franken, Oberbayern und Schwaben und viele lokale Ortsgruppen. 1990 dann kam es zu einer Strukturreform. Ziel war es, die Verbandsstrukturen an die politischen Strukturen anzupassen. So entstand am 20.10.1990 in Augsburg der ADFC Landesverband Bayern durch Umwandlung des bereits bestehenden oberbayerischen Bezirks. Der ADFC organisierte sich ab da vor Ort in Kreisverbänden und innerhalb dieser wiederum in Ortsgruppen.
Humorvolle Trauerrede für den Bezirksverein
Beschlossen hat die Umwandlung des Bezirksvereins Oberbayern in den Landesverband Bayern eine Delegiertenversammlung im Zeughaus in Augsburg. Im Anschluss an diesen formalen Akt hielt damals einer der Delegierten eine humoristische Trauerrede zum brutalen Hinscheiden des Bezirksvereins und der gleichzeitigen wundersamen Geburt seines Sohnes Landesverband. Ein historischer Mitschnitt war leider nirgendwo aufzufinden, dafür aber ein Kopie aus Papier. So konnte der Autor von damals diese Rede für uns noch einmal einsprechen und wir können hier eine Audio-Aufnahme dieser „Trauerrede zum Hinscheiden des Bezirksvereins“ zu Gehör bringen.
Einblick in die aktuellen Aktivitäten des ADFC Bayern geben die Seiten 6 bis 9 unserer Jubiläumsbroschüre. 1 1/2 Jahre lang war sie bis 7. Mai 2022 als innovative, interaktive Broschüre online verfügbar. Jetzt gibt es sie nur mehr als statisches PDF, ohne dass die darin gekennzeichneten interaktiven Elemente noch zugänglich wären. Zum Download der Broschüre als PDF.
In Ergänzung dazu präsentieren wir hier außerdem, welche Lieblingsorte ADFC-Kreisverbände für einen Besuch oder eine Radtour empfehlen. Dazu kommen die Details zur Rubrik "Menschen", die in der Broschüre selbst nur ganz kurz angerissen werden konnte: viele Grüße von Weggefährt*innen der letzten 30 Jahre und der Gegenwart, ganz unterschiedliche Gesichter von Menschen im ADFC, die Vorstellung unserer Neumitglieder mit den Nummern 29.999, 30.000 und 30.001 und nicht zuletzt radfahrende Promis.
Vor Ort gehören geführte Radtouren zum festen Angebot der ADFC-Gliederungen. Hier lassen uns Aktive aus den ADFC Kreisverbänden teilhaben an ihrem Wissensschatz: Sie verraten uns ihre Lieblingsplätze oder geben Tipps für Radtouren.
In den 30 Jahren unseres Bestehens haben uns viele Menschen und Organisationen begleitet und mit uns zusammengearbeitet – vom ADFC-Bundesverband und befreundeten Verbänden über Tourismus- und Kommunalverbänden bis hin zu Ministerien und den Parteien im Landtag. Sie wollen wir hier zu Wort kommen lassen.
Der ADFC Bayern, das sind auch seine Mitglieder. Im August 2020 – im dreißigsten Jahr unseres Bestehens – sind es 30.000 geworden. Einige haben uns erzählt, warum sie gerne Rad fahren. Sie wollen wir hier stellvertretend für alle sichtbar machen.
Das ist ein besonders schönes Geburtstagsgeschenk, dass wir im ADFC Bayern genau zu unserem 30. Geburtstag das 30.000 Mitglied begrüßen dürfen. Und weil „aller guten Dinge drei sind“, haben wir gleich drei neue Mitglieder begrüßt mit den Nummern 29.999, 30.000 und 30.001! Herzlich willkommen!
In der auf bayern.adfc.de veröffentlichten Interviewreihe „ADFC trifft …“ bekennen sich bekannte und weniger bekannte Menschen zum Fahrrad. Hier präsentieren wir eine kleine Auswahl von Zitaten aus diesen Interviews.
Im April 2007 schrieb der damalige Landesvorsitzende Karl von Falkenhausen im bayerischen Mitgliedermagazin: "Seit 28 Jahren gibt es den ADFC, seit knapp 17 Jahren unseren ADFC-Landesverband Bayern und jetzt bleiben uns noch 13 Jahre, um die Klimawende zu schaffen." 2020 war damals Zielmarke im 2005 in Kraft getretenen Kyoto-Protokoll: Bis dahin sollte der Ausstoß klimaschädlicher Gase deutlich gesenkt werden. Heute ist 2020, wir haben das Klimaabkommen von Paris mit noch weitreichenderen Zielen. Aber wo stehen wir heute?
Auf den Seiten 12 bis 16 unserer Jubiläumsbroschüre wagen wir jetzt im Jahr 2020 einen Blick in die Zukunft mit Visionen, zwei weitsichtigigen Interviews und einem Blick auf wegweisende Infrastruktur in Bayern. 1 1/2 Jahre lang war sie bis 7. Mai 2022 als innovative, interaktive Broschüre online verfügbar. Jetzt gibt es sie nur mehr als statisches PDF, ohne dass die darin gekennzeichneten interaktiven Elemente noch zugänglich wären. Zum Download der Broschüre als PDF.
Die beiden Interviews sind hier in einer ausführlicheren Fassung als in der Broschüre nachzulesen mit noch mehr Fragen und Antworten:
Dr. Philine Gaffron lehrt und forscht am Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg. Ihre Schwerpunktthemen sind nachhaltige Mobilität sowie Umweltwirkungen und soziale Gerechtigkeit im Verkehr. Wir haben mit ihr über die Mobilitätswende gesprochen.
Sie haben einmal gesagt: „Städte sind für Menschen gemacht und nicht für Autos.“ Welchen Beitrag kann das Fahrrad leisten, um unsere Städte wieder lebenswerter zu machen?
Viele Probleme, die wir heute in Städten haben, haben mit dem Faktor Verkehr zu tun: die Flächenproblematik, die Lärmbelastung, ungesunde Atemluft, die Unfälle… Da kann das Fahrrad einen Riesenbeitrag leisten. Es braucht deutlich weniger Platz – im stehenden und im fahrenden Modus. Mehr Fahrrad ermöglicht mehr Flächengerechtigkeit und wir können Raum für andere Nutzungen frei machen. Das Fahrrad ist ein sehr leistungsstarkes Verkehrsmittel, in der Stadt oft schneller als das Auto - und trotzdem in der Praxis immer noch benachteiligt. Unheimlich wichtig ist es auch im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. In vielen Großstädten hat die Hälfte der Haushalte gar kein Auto. Von den mit dem Auto zurückgelegten Wegen sind mehr als 50 Prozent unter fünf Kilometern, ein riesiges Potenzial für Verlagerungen. Und Bewegung ist gut für die eigene Gesundheit. Dann sind da noch die Lieferverkehre, die Citylogistik. Hier bieten Lastenräder, gerade solche mit Elektromotor, ein enormes Potenzial. Und dann noch ganz dringend, das Thema Klimawandel: CO2-Einsparung, mehr Platz für neue Grün- und Wasserflächen gegen die Hitze…
Wie lässt sich die Attraktivität des Verkehrsmittels Fahrrad steigern?
Die Infrastruktur spielt da natürlich eine ganz wichtige Rolle: Fahrradspuren, Fahrradstreifen. Wenn wir mehr Leute aufs Fahrrad kriegen möchten, müssen wir auch an die denken, die sich unsicher fühlen. Da ist die subjektive Wahrnehmung entscheidend: Wir brauchen breite Wege und Radspuren mit baulicher Trennung. Ich denke auch, dass eine flächendeckende Regelung für Tempo 30 innerorts mit Tempo 50 als Ausnahme sinnvoll wäre. Hat sich das etabliert und der Mobilitätsmix sich bereits geändert, kann es sinnvoll sein, die Fahrbahn in eine Spur für schnellere und eine für langsamere Verkehrsteilnehmer*innen aufzuteilen, unabhängig vom genutzten Fahrzeug. Und natürlich brauchen wir bessere Abstellmöglichkeiten, mehr Platz für sicheres Fahrradparken auch im Bestand, das Mitdenken bei Neubauten und Sanierungen und natürlich gute Anlagen an den Zielorten, am Arbeitsplatz, an Bahnhöfen… Es ist zudem unumgänglich, dass wir verstärkt Push-Maßnahmen umsetzen: Parkraumbewirtschaftung, Parkraumverknappung, Durch- und Zufahrtsbeschränkungen und die Schaffung von Kostenwahrheit inklusive der Folgekosten. Bei der CO2-Steuer haben wir einen solchen Weg zumindest ermöglicht. Das macht Alternativen automatisch attraktiver, sofern deren Angebot entsprechend gestaltet ist. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit sind Verbote zuweilen aber einfach gerechter: Sie gelten für alle, unabhängig vom Geldbeutel.
Immer mehr Menschen fahren Rad, in Bürgerbegehren fordern Radfahrende mehr Platz fürs Rad ein und Kommunalparlamente übernehmen die Forderungen. Hat die Verkehrswende bereits begonnen?
Wir sind weiter als vor ein paar Jahren. Der Radverkehrsanteil in Gesamt-Deutschland ist von 2002 auf 2017 von neun auf elf Prozent gestiegen. Aber das ist noch nicht genug. Bei den CO2-Emmissionen etwa hat der Verkehrssektor seit den Neunzigern als einziger überhaupt nichts reduziert. Das mit der Verkehrswende ist noch lange nicht so weit gediehen, wie wir es brauchen. Wir sollten auch eher über eine Mobilitätswende sprechen. Wir brauchen mehr als nur den Umstieg. Wir brauchen auf vielen Ebenen einen Paradigmenwechsel. Die Radentscheide sind ein gutes Beispiel für schrittweise Veränderungen. Aber bei der Umsetzung dauert’s dann häufig. Infrastruktur umzubauen geht eben nicht von jetzt auf gleich. Anderseits waren mit den Pop-up-Bikelanes in Berlin und anderswo in der Corona-Krise auf einmal ganz schnelle, unkonventionelle Dinge möglich. Über solche Lösungen müssen wir uns mehr Gedanken machen, wenn wir wirklich schnell genug vorankommen wollen. Und: Wir haben einerseits den Willen zum Wandel, andererseits unsere Gewohnheiten und die gebauten Wirklichkeiten, mit denen wir umgehen müssen. Da heißt es, möglichst flexibel, innovativ und nachdrücklich zu sein.
Auch hier bei uns sind Veränderungen wahrzunehmen. Trotzdem gilt Bayern als Autoland und mit Widerstand ist zu rechnen. Wie können die Menschen mitgenommen werden?
Das ist eine Kombination aus Kommunikation und Fakten schaffen. Wir müssen die Vorteile kommunizieren und die augenblicklichen Probleme erklären, die wir dadurch lösen können, und die Dringlichkeit, warum wir sie lösen müssen. Und die externen Kosten, die Kostenwahrheiten erklären. Die wenigsten Menschen wissen, wieviel es kostet, Infrastruktur zu bauen, sie instand zu halten und sie zu sanieren. Gut gemachte Öffentlichkeitskampagnen zeigen auch durchaus Wirkung. Da sind alle Ebenen gefragt: Bund, Länder, Kommunen. Den Ansatz, Maßnahmen versuchsweise durchzuführen, halte ich auch für absolut sinnvoll. In Testphasen können wir den Leuten zeigen: So sieht es im Alltag aus. Die Reaktion der Menschen muss dann natürlich auch gehört werden. Allerdings darf die Politik nicht in Versuchung geraten, es allen recht machen zu wollen, weil das natürlich sowieso nicht geht. Man braucht schon verbindliche Ziele.
Wie weit ist die Verkehrswende 2050 gekommen?
Wenn wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz, mit der sozialen Gerechtigkeit, mit dem Artenschutz und allem, was da noch dran hängt, dann müssen wir 2050 die Mobilitätswende geschafft haben. Deutschland hat sich bis 2050 Klimaneutralität zum Ziel gesetzt. Ohne eine umfassende Mobilitätswende geht das nicht. Nicht nur die Antriebstechnologien, die gesamt Systemstruktur muss sich bis dahin verändert haben. Dafür müssen wir vom Ziel aus rückwärts denken. Ich stell mir immer vor, ich müsste den Kindern und Jugendlichen von heute und morgen im Jahr 2050 gegenübersitzen und müsste sagen: „Schade, wir haben es vergeigt!“ Das fände ich schrecklich. Ich hoffe, dass dieser Gedanke handlungsleitend sein kann, auf allen Ebenen. Klar, an manchen Stellen wird das sehr einschneidende Veränderungen bedeuten. Das heißt aber nicht, dass wir dann alle zuhause sitzen müssen und uns nicht mehr bewegen dürfen. Was möglich ist, wenn der Druck groß genug ist, zeigt die Corona-Krise. Wenn wir es schaffen, diesen Handlungsdruck weiter klar zu kommunizieren, und die Vorteile, die wir uns erschaffen, dann habe ich schon Hoffnung, dass wir das Ruder noch rechtzeitig herumreißen.
Mikael Colville-Andersen, dänischer Stadtplaner und Experte für urbane Mobilität, hat die Copenhagenize Design Company gegründet und war ihr CEO. Weltweit berät er Städte und Regierungen zu Fragen der fahrradfreundlichen Stadt der Zukunft. Wir trafen den Visionär in einem Straßencafé in Kopenhagen.
Was macht eine Stadt lebenswert?
Straßen wie diese. Im Café sitzen, reden und beobachten wie Menschen vorbeigehen, vorbeiradeln, im Auto vorbeifahren: die direkte, ständige Verbindung zwischen Mensch und Stadt. Sich niemals vom Geschehen der Stadt abgeschnitten fühlen. Im Auto ist man das immer, sitzt in seiner Blase. Sind alle in ihrer Blase, gibt es keinerlei Verbindung. Diese Familie da drüben auf dem Fahrrad: Es ist Sonntag, vielleicht fahren sie in Ferien oder einfach nur spazieren, aber sie sind in Interaktion mit ihrer Stadt: Sie riechen, hören, schmecken sie, sie schauen uns an, wir sie. So funktionierten Städte seit 7000 Jahren, seit Menschen in Städten zusammenleben. Es ist eine ständige sensorische Verbindung mit dem Ort. Und das findet sich auch in unserer Art der Verkehrsplanung wieder. Straßen werden so gestaltet, dass diese Familie in der Mitte der Straße oder auf sicherer Infrastruktur dahinrollen kann. Dazu kommen breite Bürgersteige für Fußgänger*innen, ein guter öffentlicher Verkehr, einfach alle Verkehrsarten, die anthropologisch angemessen sind. Wir stehen immer in Kontakt mit unseren Mitmenschen. Es geht um Verkehrsgestaltung, aber auch Stadtgestaltung.
Welche Chancen bietet das Fahrrad, um unsere Städte wieder lebenswerter zu machen?
Das Fahrrad ist das wichtigste Werkzeug in unserem städtischen Werkzeugkasten, will man unsere Städte nach 70, 80 Jahren autozentrierter Verkehrsplanung „reparieren“ und verbessern. Es braucht eine urbane Revolution und das Fahrrad steht darin an vorderster Front. Weil es den Menschen unabhängige Fortbewegung ermöglicht, weil es den Menschen im Land eine bessere Gesundheit beschert und wir alle davon profitieren, tragen wir die Kosten des Gesundheitssystems doch gemeinsam. Weil uns das Fahrrad die Stadt und ihren sinnlichen Wert erfahren lässt. Und es ist in fast allen Städten der Welt eine der schnellsten Möglichkeiten von A nach B zu kommen.
Wie hoch wird der Anteil des Radverkehrs im Jahr 2050 in deutschen Städten sein?
Schwer zu schätzen – jede Stadt ist anders. Es gibt immer noch Politiker*innen, die „am Altar der Autoindustrie beten“ – wegen der vielen Arbeitsplätze und der Steuereinkünfte. Aber ich glaube, wenn irgendwo in der Welt das Potenzial am größten ist, dann in Deutschland mit seinem Umweltfokus. Es wird davon abhängen, wer regiert. Es gibt mehr und mehr Politiker*innen, die die Notwendigkeit des Wandels erkennen. Es wäre ganz einfach: Mit den Kosten für zehn Kilometer sechsspuriger Autobahn könnte man München in fünf Jahren zu Kopenhagen machen. Weil es vergleichsweise so kostengünstig ist.
Ich bin optimistisch, was deutsche Städte betrifft, weil das Umweltbewusstsein mehr und mehr Menschen infiziert und Mainstream wird wie in keinem anderen Land der Welt. Das ist großartig, lief es doch 50 Jahre lang blöd. Wichtig ist, keine negativen, sondern positive Botschaften zu verbreiten, all die Radentscheide zum Beispiel sind großartig. Deutschland steht in der Reihe der fahrradfreundlichsten Länder mit Schweden heute schon auf Platz 4 oder 5 in der Welt hinter den Niederlanden, Dänemark und Japan. Deutschland ist weit vorne und es ist geradezu unfassbar, dass in den letzten zehn Jahren nicht mehr Fortschritte gemacht wurden. Etwas enttäuschend – aber – ich denke, da ist großes Potenzial.
Was müssen Städte im Autoland Bayern tun, um das zu erreichen?
Japan hat auch Autoindustrie, aber 15 Prozent der Bevölkerung fahren Fahrrad und Japan ist Nummer 3 bei den fahrradfreundlichsten Städten weltweit. In Tokyo fahren täglich mehr Leute mit dem Fahrrad zu einer Bahnstation als in Berlin leben! Also hoffe ich, dass man in Deutschland erkennt, dass Autoverkaufszahlen heute kein wirtschaftlicher Indikator mehr sind. Politiker*innen sollten gestiegene Verkaufszahlen in der Autoindustrie nicht mehr feiern, sondern stattdessen sagen: „Mist, da haben wir wohl etwas falsch gemacht.“ „Die Passagierzahlen bei der DB sind gestiegen“, das ist gut. Oder „mehr Leute fahren Fahrrad“. Das sind die neuen ökonomischen Indikatoren in einer „live sized city“. Die Deutschen sollten aufhören der Autoindustrie weiterhin einen so unangemessenen Wert beizulegen. Auch wenn Firmen ankündigen, in den nächsten Jahren überwiegend E-Autos zu bauen – es bleiben Autos, die viel zu viel Platz benötigen.
Sie sagten, Bayern habe ein ungefähres politisches Ziel in Sachen Radverkehr (Er bezieht sich hier auf das Radverkehrsprogramm Bayern 2025). Das ist cool. So etwas hörte ich zum ersten Mal 2013 bei der Velo-city in Wien. Andalusien, eine sehr große Region, flächenmäßig ähnlich groß wie Bayern, machte damals Pläne für die Radverkehrsförderung. So ist gelungen, dass Sevilla in kürzester Zeit den Radverkehrsanteil von quasi null auf sieben Prozent steigern konnte. Die damalige Regierung wollte Andalusien zur weltweit fahrradfreundlichsten Region machen mit rund 5.000 Kilometer Radwegen, die alle Städte verknüpfen. Das könnte Bayern genauso schaffen. Der schwierige Teil wird sein, auch die sehr kleinen Städte in der Provinz zu verknüpfen. Aber das ist ein wirklich tolles Ziel und man kann sich einiges an Inspiration bei Andalusien holen, auch wenn sie es dort noch nicht flächendeckend geschafft haben, weil die Politik nicht mitspielte. Aber sie haben eine Vision entwickelt und damit begonnen, weil das Fahrrad ein gutes Verkehrsmittel ist.
Wie ist das auf dem Land? Kann hier eine gute Verknüpfung des Fahrrads mit dem Öffentlichen Verkehr etwas verändern?
Kleinstädte benötigten ein gute Radwegeverbindung zur nächstgelegenen Bahnstation mit guten Abstellanlagen, wo man dann in den Zug steigt. Überall in Dänemark oder auch Schweden sind die Fahrradabstellanlagen an Bahnstationen in jedem kleinen Ort voll. Es geht darum, die erste und letzte Meile fahrradfreundlich zu gestalten – das wird den kleinen Städten helfen.
Kann das Fahrrad die Mobilität auch in kleineren und mittelgroßen Städten verändern?
Oh ja. Um die Städte wiederzubeleben, muss man Shopping Malls auf der grünen Wiese wieder abreißen. Wir müssen zurückgehen in die Zukunft, zu etwas, was wir bereits hatten: ein Fahrradparadies von den 1880er Jahren bis in die 1950er Jahre. Dahin müssen wir zurück. Sich von den autofreundlichen Straßen und Shoppingcentern zu verabschieden ist eine harte Nuss, weil es ums Business geht. Aber betroffen sind meist große Konzerne, die werden unterm Strich kein Geld verlieren. Es mögen Arbeitsplätze verloren gehen, aber die können in die Stadtzentren rückverlagert werden. Das Fahrrad hat das Potenzial, das es nachgewiesenermaßen schon immer hatte und wir müssen nur dahin zurück. Alles was wir tun müssen, ist zurückzukehren zu unserer Geschichte, sie entstauben und neu starten.
Wie muss sich die Verkehrsplanung ändern, um all das bis 2050 zu erreichen?
Wir müssen aufhören, dem Auto zu huldigen. Das ist dasselbe in allen größeren Ländern. England, USA, Deutschland, Frankreich: Wegen der Bedeutung der Autoindustrie haben dort Ingenieur*innen in der Verkehrsplanung das große Sagen und einen so unanständig großen Einfluss bekommen. Nichts gegen Verkehrsingenieur*innen, aber wir sollten sie nicht auf ein Podest heben und sie die Zukunft unserer Städte entscheiden lassen. Das wollen sie gar nicht, aber wir haben ihnen die Macht dazu gegeben, als verlängertem Arm der Autoindustrie sozusagen. Was wir tun müssen, ist die Pyramide umkehren, an deren Spitze sie heute stehen.
Es ist eine Vielzahl von mathematischen Modellen, die den Verkehr in unseren Städten bestimmt, aus den 1950er-Jahren, unverändert. Sie sind nicht zu verbessern, weil sie schon zu Beginn schlecht waren, komplett auto-zentriert. Ingenieur*innen sind unglaublich nützlich und intelligent, aber bevor sie zum Einsatz kommen, brauchen wir Stadtplaner*innen, Stadtgestalter*innen, Anthropolog*innen, Verkehrspsycholog*innen, Soziolog*innen etc., die uns sagen, wie die Stadt für den Menschen gestaltet werden sollte. Ich habe mit Schulkindern gearbeitet weltweit, sie können eine Stadt besser gestalten als 500 Expert*innen, sie sehen intuitiv die einfache Logik der Dinge, das Vernünftige. Ingenieur*innen hingegen wollen einfach Puzzle lösen und Dinge bauen. Sie müssten aber schon an der Uni lernen, mit den Stadtplaner*innen zu reden und zusammenzuarbeiten, was in Deutschland meist nicht der Fall ist, das ist das Hauptproblem.
Der Einfluss der Verkehrsingenieur*innen muss sofort gestoppt werden. Politiker*innen kommen und gehen und viele haben richtig gute Ideen, die aber quasi an der Tür der Verkehrsplanungsabteilung sterben. Das zu reformieren, erst den Fokus auf die anderen Fachleute legen, das ist der Schlüssel zur Veränderung. Ingenieur*innen lieben es, schwierige Aufgaben zu bearbeiten. Sie können aber warten, bis man ihnen sagt, was sie lösen sollen: ein paar Autospuren wegnehmen, dafür Fahrradspuren hinzufügen, Bushaltestellen einpassen, u.v.m. Aus den Niederlanden und Dänemark gibt es zudem genug Best-Practise-Beispiele, die nur kopiert und adaptiert werden müssen, das werden die Ingenieur*innen lieben. Wir wollen sie nicht loswerden, aber ihren Einfluss auf die Stadtgestaltung sofort drastisch reduzieren. Wenn das gelingt, kann Deutschland in fünf Jahren wie Kopenhagen sein.
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